Joachim Grossert widmete seinen Vortrag am 24.01.2020 in der Aula der Sekundarschule Campus Technicus unterschiedlichen Perspektiven auf das Bernburger „Lohelandhaus“
Mit circa 100 Zuhörern war die Aula des Campus Technicus am 24.01.2020 gut gefüllt. Der Vortragende, Joachim Grossert, ist für viele Bernburger eine feste Größe, wenn es um Informationen über die jüngere Geschichte der Stadt Bernburg geht. Als Vorsitzender der Bernburger Regionalgruppe des Vereins für Anhaltische Landeskunde organisierte er in der Vergangenheit gut angenommene Stadtführungen auf den Spuren der ehemaligen jüdischen Einwohnerschaft Bernburgs und zu Bernburger Straßennamen, beschäftigt sich aber auch mit unterschiedlichen anderen Themen der neuzeitlichen Entwicklung der Saalestadt.
Was ist "Loheland"?
Diesmal aber stand „Loheland“ im Mittelpunkt. Im ersten Teil des Vortrags gab Grossert eine allgemeine Einführung in die Anfänge der Loheland-Reform-Bewegung und berichtete von seinem Besuch der Fuldaer Ausstellung zu „100 Jahren Loheland“ und der nahe der hessischen Stadt gelegenen Loheland-Siedlung. In diesem Kontext ging er auch auf die Biografie der Loheländerin Magdalene Trenkel ein und stellte ihr im Jahr 1935 von der Güstener Firma Lohmüller im Bernburger „Loheland-Garten“ errichtetes Gymnastikhaus als interessanten Holzbau der Moderne vor.
Herabwürdigung durch Sprache? Zur öffentlichen Kommunikation über "Loheland" in Bernburg
Im zweiten Teil des Vortrags widmete sich Joachim Grossert der in Bernburg ab dem Jahr 2013 geführten Auseinandersetzung über den Denkmalwert des Gymnastikhauses.
Eine Auflistung der in der Lokalpresse zum „Lohelandhaus“ zitierten abfälligen Äußerungen Bernburger kommunalpolitischer Entscheidungsträger ließ die Zuhörer im Saal still werden. Wer in einer Zeit der allgemeinen sprachlichen Verrohung zum Mittel der verbalen Entwürdigung greift, verliert seine Autorität und die Abgrenzung gegenüber populistischer Propaganda. Das Ansprechen dieser Entgleisungen in der Öffentlichkeit bildet eine gute Möglichkeit der demokratischen Reaktion auf eine Strategie, die vordergründig der Diffamierung eines Bauwerks dient, in zweiter Ebene aber auch auf diejenigen abzielt, die sich aus kulturellem Verantwortungsgefühl heraus für die Rettung des Denkmals „Lohelandhaus“ einsetzten. Oft genug kaschiert die konfrontativ-martialische Sprache nur den Unwillen, sich gegenüber den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung zu öffnen.
Vom Umgang mit Quellen: Abwehrkampf mit allen Mitteln?
Den Eindruck eines „Abwehrkampfes mit allen Mitteln“ erweckt jedenfalls die von Grossert präsentierte Fakten-Prüfung einer schriftlichen Stellungnahme, die Jürgen Weigelt (CDU) in seiner Funktion als Bernburger Stadtratsvorsitzender unter der Adresse des Bernburger Rathauses am 11.04.2017 veröffentlicht hat. Anhand einer darin ohne Quellenangabe gemachten Äußerung zur Vernichtung von Akten in der Fuldaer Lohelandsiedlung konnte der Referent nachweisen, wie die ursprüngliche Textaussage durch Weglassung bei gleichzeitiger tendenzieller Ergänzung quasi in ihr Gegenteil verkehrt worden ist. Es zählt zu den Verdiensten des Vortragenden, dass diese Entstellung aufgedeckt und der tatsächliche Kontext der Quelle eingeordnet werden konnte.
1946: „Antifa-Frauenausschuss“ ließ Flüchtlingskinder von Magdalene Trenkel betreuen
Entgegen der von Jürgen Weigelt praktizierten zweifelhaften Art und Weise beim Umgang mit Quellen konnte Joachim Grossert mit einem erstmals der Öffentlichkeit präsentierten historischen Zeitungsartikel aus der „Freiheit“ vom 22.08.1946 (Nr. 104) die Stellung Magdalene Trenkels in der Bernburger Stadtgesellschaft kurz nach Kriegsende erhellen: Der Autor oder die Autorin des Zeitzeugnisses lobte darin Frau Trenkels Arbeit im Rahmen einer vom „Antifa-Frauenausschuss“ im Bernburger Lohelandgarten organisierten Betreuung von Flüchtlingskindern in den höchsten Tönen. Dabei wurde besonders herausgestellt, dass sich die Loheländerin mit „viel Wärme und pädagogischem Geschick“ der ihr anvertrauten Kinder angenommen habe. Eine Situation, die man sich in einer Stadt wie Bernburg kaum so vorstellen könnte, wenn Frau Trenkel noch kurz zuvor — wie es Weigelt postuliert — eine Protagonistin der regionalen NS-Politik gewesen sein soll.
Immer wieder wurde in der Vergangenheit von Kritikern behauptet, dass sich in Bernburg niemand für das sogenannte „Lohelandhaus“ interessieren würde. Besser als mit einem Saal voller Zuhörer konnte Joachim Grossert am vergangenen Freitag-Nachmittag den Gegenbeweis zu dieser These nicht antreten!
Olaf Böhlk