Sprache, fein wie ein Steintopf
LESUNG Der dritte Band mit Gedichten in „anhält’scher“ Mundart von Heribert Pistor wird am Samstag bei der Bernburger Kulturstiftung vorgestellt.
VON SOPHIA MÖBES
BERNBURG/MZ – Was ist nur am Sonnabendnachmittag im Haus der Kulturstiftung Bernburg an der Friedrichstraße losgewesen? „Carl I.“ lockt mit den beschwingten Melodien seiner Drehorgel die Gäste ins Haus. Und später begleitet der Northeimer die Lesung von Gunnar Müller-Waldeck sehr gekonnt weiter. Das trifft sowohl auf die Auswahl der Stücke als auch auf seine Spieltechnik zu. Ein Gast aus Köthen singt in der Pause mit und nimmt das per Handy auf – ein schönes Kompliment für Carlheinz Schiller.
Müller-Waldeck, gebürtiger Bernburger und emeritierter Professor der Literaturwissenschaft, liebt die „anhält’sche“ Mundart und hat festgestellt, dass man diese mit zunehmendem Alter wieder mehr gebraucht – während der Schulzeit werde sie ja leider abtrainiert. Auch im Berufsleben ist sie nicht unbedingt förderlich. Dennoch haben für ihn das Anhaltische und das Sächsische einen besonderen Reiz, dienten sie doch Martin Luther als Basis bei der Erschaffung der deutschen Hochsprache, „zusammengequirlt“ nannte es der Literaturwissenschaftler.
In Heribert Pistor hat er einen Autoren gefunden, der das Anhaltische in der heutigen Zeit pflegt und fortschreibt. Deshalb stellt er gern die Neuerscheinung dieses geheimnisumwobenen Mannes vor, den noch niemand gesehen hat, der aber angeblich bei jeder Lesung anwesend ist. Nach „Ziwwelringe un Sahne“ und „Dor Lindenboom“ ist nun ein dritter Band erschienen, „Dor schtumme Diener“. Und Müller-Waldeck kann berichten, dass im kommenden Frühjahr ein vierter, letzter Band folgen werde. Erschienen sind alle in der Anhalt Edition Dessau, dem Verlag von Regina Erfurth, die die soeben gedruckten Büchlein selbst zur Lesung mitgebracht hat.
Murmeln hilft beim Verstehen
Dieser „schtumme Diener“ ist hier aber nicht das altbekannte Möbelstück. In Pistors witziger Gedichtsammlung ist es ein „Händy“, in dem ist „keene Karte drin“. Deshalb kann der Erzähler damit stundenlang seiner Verflossenen die bittersten Vorwürfe machen, kann telefonisch all seinen Frust loswerden, ohne dass es ihn einen Cent kostet. Und als Höhepunkt: „Von die kimmt nich een Widerwort!“
Ungeübte sollten Müller-Waldecks Rat beherzigen und beim Lesen leicht vor sich hin murmeln, das hilft beim Verstehen ungemein. So witzig wie Pistors Texte ist auch die Moderation des Vortragenden und sein Zusammenspiel mit dem Musikanten. Er kann noch eigene Erlebnisse aus seiner Bernburger Zeit beisteuern und damit anschaulich beweisen, dass „Anhältisch nicht fein wie englisches Biskuitporzellan“ ist, sondern eher einem Steintopf gleicht.
Neu ist sicher auch für viele Gäste, dass Großmühlingen eine anhaltische Enklave war und dieser Heimatdialekt sich erhalten hat. Herrlich das Gedicht aus dem „Lindenboom“ über den Abriss des alten Konsumgebäudes dort – eine wahre Geschichte.
Pistor erfasst in seinen Gedichten die gesamte Bandbreite des menschlichen Lebens, alles mit einem Augenzwinkern, nie verletzend. Ob in „Vollbad“ das öffentliche Wannenbad einmal im Jahr oder in „Dorchwachsen“ das Intervall-Füttern von Schwänen beschrieben wird, „Konfirmationsunterricht“, „Tempolimit“ oder „Adlerflüge“ vorgetragen, die Berufsmöglichkeiten aufgelistet werden, oder, oder – das zweistündige Programm ist kurzweilig und interessant. Pistors Gedichte haben bereits eine große Fangemeinde, wie die vielen begeisterten Gäste beweisen. Neben den Bernburgern sind auch viele Auswärtige gekommen. Den weitesten Weg hatte wohl das Ehepaar Köhn aus Gardelegen. Endlich einmal hat es terminlich geklappt, dass sie einer Lesung beiwohnen konnten, so die Altmärkerin. Sie sei mit Müller-Waldeck verwandt, seine und ihre Großmutter waren Schwestern.
Ein Pokal für den Philosophen
Zum Abschluss des Abends bedankt sich der Vortragende beim „Drehorgel-Philosophen“ mit einem Geschenk, einem Pokal, der mit Zeitungsausschnitten über dessen Auftritte und einem Original-Pistor-Gedicht ummantelt ist und gibt einen Ausblick auf den vierten Band.
VITA
Leben für Literatur
Gunnar Müller-Waldeck wurde 1942 in Bernburg geboren und besuchte hier die Schule bis zum Abitur. Danach studierte er in Greifswald Germanistik und Geschichte und lehrte bis zu seiner Emeritierung als Literaturwissenschaftler an der Universität der Ostseestadt. In dieser Zeit verfasste er zahlreiche Veröffentlichungen zur Literatur des 20. Jahrhunderts, zur literarischen Tradition des Ostseeraumes und zur Trivialliteratur. Daneben ist er als Essayist, Feuilletonist, Kritiker bei Presse und Rundfunk und als Hörspielautor tätig. Mit „Mei Anhalt, wu ich heeme bin“ hat Professor Gunnar Müller-Waldeck Mundartgeschichten und Gedichte des bekannten Bernburger Mundartdichters Georg Müller herausgegeben. Er lebt heute in der Nähe von Greifswald. SOM