Erschienen im überregionalen Teil der Mitteldeutschen Zeitung vom 08.11.2017 auf S. 3
Autor: Günter Kowa
Parkplatz statt Kulturerbe
STADTPLANUNG In Sachsen-Anhalt gibt es fast so viele Denkmäler wie in ganz Frankreich. In den Städten und Gemeinden führt diese reiche Geschichte auch zu harten Konflikten, wie ein Fall aus Bernburg zeigt. Dort soll das „Loheland-Haus“ abgerissen werden.
Das Haus des Anstoßes ist völlig unscheinbar. Wer davor steht, der braucht überdurchschnittlich viel Fantasie, um darin die historische Einzigartigkeit zu sehen. Das berühmte „Loheland-Haus“, ein einmaliges historisches Erbe der Moderne, wirkt wie eine heruntergekommene Bretterbude, seit Jahrzehnten verlassen, die Fenster sind mit Latten vernagelt, das Moos wächst auf den Dachziegeln. Nur die Umgebung ist idyllisch: umgeben von Bäumen in der „Alten Bibel“, der grünen Oase im Stadtzentrum von Bernburg (Salzlandkreis).
Städte schmücken sich gern mit ihren Denkmalen, aber die Begeisterung stößt an Grenzen, wenn sie die klammen Haushalte belasten oder mit anderen Interessen konkurrieren. Zwar ging in Sachsen-Anhalt die Zahl der Abrissanträge für denkmalgeschützte Objekte zurück, auf 74 im Jahr 2014, nach 150 sieben Jahre davor. Größer aber ist das Problem des Verfalls durch Nichtstun, weil der Aufwand für denkmalgerechte Sanierung abschreckend wirkt. Alles in allem umfasst die Denkmalliste von Sachsen-Anhalt rund 29 000 Einzeldenkmale und 2 300 Denkmalbereiche, die die Gesamtzahl geschützter Bauten auf rund 38 000 Bauten erhöht. Davon gelten 20 Prozent als verfallsbedroht.
Eben diese Zahlen kommen zur Sprache, wenn man sich mit einem Fall in Bernburg befasst, beileibe nicht der einzige, aber einer, der weit über die Stadt hinausweist, weil er eine kaum bekannte Facette zu Sachsen-Anhalts Erbe der Moderne hinzufügt. Für Holger Dittrich, Bernburgs Dezernent für Wirtschaftsförderung, steht aber etwas anderes im Vordergrund. „Wir haben fast 40 000 denkmalgeschützte Bauten im Land, mehr als in ganz Frankreich“. Es sind zwar 43 600 laut Pariser Kulturministerium, aber der Vergleich mit dem Bundesland sitzt, und Dittrich legt mit erlebter Kulturgeschichte nach: „Ich gehörte zu denen, die die DDR wegen des Verfalls historischer Bauten kritisierten.“ Aber, und das ist für ihn entscheidend: „Wir mussten lernen, dass man nicht alles erhalten kann, und dass zu viel Denkmalschutz die Stadtentwicklung behindert.“
Genau darum geht es im aktuellen Fall bei dem Häuschen, das abgelegen und verrammelt am Rand der „Alten Bibel“ steht, dem Bernburger Bürgerpark, der einst Friedhof war. Es ist schlicht, rundum mit Holz verschalt, und auch der Name „Loheland-Haus“ lässt allenfalls Spezialisten erkennen, dass es sich um ein Erbe der Moderne handelt. Und die wird 2019 im „Bauhaus-Jahr“ in Sachsen-Anhalt und weltweit gefeiert. Aber die Stadt sieht vorrangig, dass es einem geplanten Parkplatz im Weg steht und abgerissen gehört.
In den Augen von Holger Dittrich ist das kein Akt der Kulturbarbarei, sondern Dienst am historischen Erbe der Stadt. Die kämpft wie so viele andere mit Leerstand. Die angestrebten 40 Stellplätze sollen die Nachfrage nach Mietwohnungen in der nahen Wilhelmsstraße befördern. Und weiter: „Wir haben 314 Denkmale in der Stadt. Das Loheland-Haus hat keine Priorität. Sonst müssten wir anderes opfern.“ Der Dezernent kann sich in Rage reden und die Dinge verächtlich machen. „Es ist eine Holzbude. Seit dreißig Jahren nicht gepflegt. Es ist öffentlich nicht sichtbar.“ Der Abriss, darauf besteht er, ist ein „mit überwältigender Mehrheit“ gefasster Stadtratsbeschluss.
Berichtigung
Bei Olaf Böhlk handelt es sich nicht um den „Vorsitzenden“ der Kulturstiftung.
Eine eigenwillige Frau
Magdalene Trenkel wurde 1894 in Zerbst geboren und wuchs in Bernburg auf. 1914 lernte sie klassische Gymnastik in Kassel bei Hedwig von Rohden und Louise Langgaard, den Gründerinnen der „Loheland-Bewegung“. Schon 1916 machte sie sich selbstständig und gab Kurse in Weimar, unter anderem auch am Hof. Im Oktober und November 1919 trat sie am Bauhaus auf. In Zusammenarbeit mit dem Maler Paul Dobe verband sie Gymnastik mit Kunstunterricht. Sie wohnte beim Textilfabrikanten Alexander Commichau zur Miete. Als sie von dessen Sohn Georg ein Kind erwartete, warf der Hausherr beide auf die Straße. Georg beging Selbstmord, Magdalena zog ihre Tochter allein auf. Ab 1923 gab sie Kurse in ihrem „Loheland-Garten“ in Bernburg, wo sie 1935 das „Gymnastikheim“ baute. Sie blieb bis zu ihrem Tod 1967 in ihrem Beruf aktiv.
Architektur mit Seltenheitswert
„Eine Nacht- und Nebelaktion“ sei der Eintrag ins Denkmalverzeichnis gewesen, unterzeichnet von Landeskonservatorin Ulrike Wendland just nachdem die Stadt das Grundstück gekauft hatte. Die Fachbehörde hatte ein „Dokument des Wirkens reformpädagogischer Ideen“ ausgemacht. Die „Architektursprache besitzt Seltenheitswert“, heißt es, und „stellt ein Alleinstellungsmerkmal dar.“ Auf eine Anfrage der AfD-Fraktion im Magdeburger Landtag antwortete die Landesregierung, das Haus könne im „Weltereignis Bauhaus-Jubiläum 2019“ eine Rolle spielen.
Aber, meint Dittrich, an „diesem reinen Minderheitenthema“ seien nur „drei oder vier lautstark agierende Leute“ interessiert. Dazu gehören im Stadtrat die Grünen und einige Mitglieder der Linken-Fraktion. Publizistisch sichtbar ist vor allem Olaf Böhlk, der als Vorsitzender der Kulturstiftung Bernburg auch eine Webseite betreibt, die unter anderem zur Geschichte des Loheland-Hauses informiert. Auf seine Einladung waren jüngst zwei Loheland-Forscherinnen, die Archivarin der Loheland-Stiftung, Elisabeth Mollenhauer-Küber, und die Weimarer Historikerin Ute Ackermann, in der Stadt. Ihr Vortrag war bestens besucht.
Die Loheland-Bewegung, erfuhren die Zuhörer, kam von der Loheland-Frauensiedlung bei Kassel, gegründet um 1910 von Hedwig von Rohden und Louise Langgaard, die auch den Namen erfanden. Die Nachfolgeorganisation besteht heute noch als anthroposophische Stiftung mit Waldorfschule und Sozialakademie. Die Verbindung zu Bernburg ist die dort aufgewachsene Gymnasialprofessorentochter Magdalene Trenkel. Sie lernte in Loheland „Körperschulung“ und fand dadurch zu beruflicher Selbstständigkeit als Gymnastiklehrerin. Sie ging damit einen Weg, der damals für Frauen absolut ungewöhnlich war.
Die Loheland-Methode hatte eine starke tänzerische Komponente. Fotos von Auftritten zeigen Frauen in langen Gewändern in expressiven Bewegungen, die Tänze hatten Titel wie „Rufen – Stimmen des Frühlings“. Am Weimarer Bauhaus wurde Walter Gropius aufmerksam und lud Trenkel und ihre Schülerinnen ein. Am 30. Oktober 1919 gaben sie einen Probekurs, hüllenlos, wie es ihrer Praxis entsprach. Gropius stand nicht nur deshalb kurz davor, Trenkel einzustellen. Rhythmische Körperschulung war am Bauhaus gefragt, was Trenkel wusste, die sich Gropius als „mitwirkende Kraft beim Aufbau des Bauhauses“ empfahl. Jedoch plädierte Vorkurs-Meister Johannes Itten statt ihrer für die Sängerin Gertrud Grunow und ihre „Harmonisierungslehre“.
Raum für freie Bewegungen
Trenkel kehrte nach Bernburg zurück, pachtete 1927 das Grundstück an der „Alten Bibel“ zur Sommernutzung und baute 1935 dort ihr „Gymnastikheim“, nach Entwürfen eines Bernburger Architekten und Anregungen aus Loheland. Die Einfachheit der Holzkonstruktion scheint Bauhaus-fern, ist funktional aber „modern“: der Gymnastikraum öffnet sich mit verglasten Flügeltüren zum Garten und hat innen eine gewölbte Decke, wie um Raum zu geben für freie Bewegungen, begleitet von Magdalene Trenkels Klavierspiel. Ihr Piano hat die Zeiten überdauert und steht heute noch da. Ihr aktives Berufsleben umspannt Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus und die DDR. Das wirft Fragen auf. Zeitzeugen meldeten sich, die ihr Nazi-Nähe vorwerfen und Anpassung an das jeweilige System. Bekannt ist, dass Trenkel Kurse für die NS-„Kraft-durch-Freude“-Organisation gab. Ob sie eine Wahl hatte, ist offen – sicher ist, dass ihre Karriere auf einem bewusst unangepassten Leben aufbaute.
Für Olaf Böhlk ist die Haltung der Stadt zum Loheland-Haus nicht nur wegen der Preisgabe Bernburger Kulturgeschichte ein Ärgernis. Den Stadtratsbeschluss zum Abriss sieht er im Widerspruch zu einem anderen, dem Stadtentwicklungskonzept, das den Park für eine bürgerschaftliche Nutzung vorsieht. Eben dazu würde sich das Haus vielfältig nutzen lassen, sagt er. Auf dem Grundstück stellt man fest, dass die Hälfte der geplanten Stellfläche immer noch 20 Plätze ergäbe: Kompromiss genug, um die Stadt und zugleich das Loheland-Haus zu retten? Am Bauhaus Dessau appelliert Stiftungsdirektorin Claudia Perren jedenfalls an die kulturellen Instinkte der Stadt. „Es wäre schade, wenn nun zum Bauhaus-Jubiläum Orte wie das Lohelandhaus verschwänden, die an dynamische Zeiten der Reformbewegung und die neue Rolle der Frau erinnern. Statt über Abriss sollten wir über Kooperation der Orte der Moderne in Sachsen-Anhalt nachdenken und identitätsstiftende Programme aufsetzen.“